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Feministische Außenpolitik vs. „Zeitenwende“

Aus feministischer Perspektive sind viele politische Entscheidungen, die aktuell unter dem Stichwort „Zeitenwende“ von der Koalition vorangetrieben werden, enttäuschend und widersprechen dem transformativen Anspruch einer feministischen Außenpolitik.

Ein Artikel von Jennifer Menninger

Der Redebeitrag von Annalena Baerbock am 23. März 2022 sorgte in den vergangenen Tagen für viel Aufsehen.[1] Mit Verweis auf Friedrich Merz‘ kritischen Aussagen zu Feministischer Außenpolitik, verkündete sie, dass eine feministische Sichtweise auf Außenpolitik kein Gedöns, sondern auf der Höhe dieser Zeit sei. Die Bundesregierung würde daher einen erweiterten Sicherheitsbegriff verwenden und den Blick auf alle Opfer von Kriegen werfen.

Aus feministischer Perspektive sind jedoch viele politische Entscheidungen, die aktuell unter dem Stichwort „Zeitenwende“ von der Koalition vorangetrieben werden, enttäuschend und widersprechen dem transformativen Anspruch einer feministischen Außenpolitik.

Wer ist schutzbedürftig und wer nicht?

So verweist Baerbock zwar auf die Wichtigkeit, dass Vergewaltigungen als Kriegswaffe vor dem internationalen Gerichtshof als Straftat inzwischen anerkannt wurden, doch sorgt gerade dieses Beispiel nicht für ein umfassendes Umdenken in der Außen- und Sicherheitspolitik. Der Verweis auf Vergewaltigungen von Frauen außerhalb Deutschlands legitimiert eine interventionistische Außenpolitik. Frauen müssen von westlichen Staaten gerettet werden. Zu was für einer fehlgeleiteten deutschen Außenpolitik diese Annahme führen kann, offenbart sich aktuell in Afghanistan und Mali.[2] Anstelle der Weiterführung solcher Interventionspolitik wäre es im Sinne einer feministischen Außenpolitik angebracht sich – in Zusammenarbeit mit der lokalen Zivilgesellschaft – ernsthafter um die Aufarbeitung der deutschen Kolonialvergangenheit zu bemühen.

Es ist notwendig, dass den Menschen, die aus der Ukraine fliehen von den EU-Staaten uneingeschränkt Unterstützung angeboten wird, doch ist die derzeitige Ungleichbehandlung von Geflüchteten aufgrund ihres Herkunftslands ganz und gar nicht feministisch! Es fällt schwer die derzeitige mediale Inszenierung der NATO-Staaten als Hort der Menschenrechte ernst zu nehmen. Denn die Frage bleibt bestehen: für wen gelten diese Menschenrechte? Drittstaatenangehörige mit Aufenthaltstitel in der Ukraine wurden rassistisch zurückgedrängt. Dazu gehört also auch immer die Frage: für wen gelten diese Menschenrechte nicht? Ein Blick auf die katastrophalen Zustände in den Lagern entlang der EU-Außengrenzen oder auf den Mauerbau von Polen an der Grenze zu Belarus[3] reicht aus, um die ungleiche Behandlung von Menschen auf der Flucht zu verdeutlichen.

Das Narrativ der „kaputtgesparten“ Bundeswehr

Für die Koalition ist eine feministische Außenpolitik mit dem geplanten Sondervermögen für die Bundeswehr vereinbar. Als Begründung wird das seit Jahren kursierende Argument einer „kaputtgesparten“ Bundeswehr wiederholt, die allein im Jahr 2021 einen Etat von 46,93 Milliarden Euro vorweisen kann.[4] Da das Beschaffungswesen der Bundeswehr für die mangelnde Ausstattung nicht in geringem Maße mitverantwortlich ist, müsste es zeitnah umfassend umstrukturiert werden, um das Steuergeld zukünftig sinnvoller zu verwenden.

Außerdem gibt es viele Bereiche, die in Deutschland als „kaputtgespart“ bezeichnet werden könnten: das Gesundheitssystem, das Bildungssystem, die digitale Infrastruktur. Warum das Sondervermögen nicht für den dringend notwendigen Transformationsprozess im Bereich der Energieversorgung eingesetzt wird, ist schwer nachzuvollziehen. Auch die zivile Krisenprävention und Friedensförderung hätten jetzt ein Sondervermögen verdient, um noch effektiver dazu beitragen zu können weitere Kriege zu verhindern. Es geht bei der Argumentation rund um das Sondervermögen also vor allem um eine Priorisierung von Interessen seitens der Bundesregierung.

Grundsätzlich trägt die Stärkung der stark männlich geprägten Bundeswehr nicht nur zur Militarisierung der deutschen Außenpolitik bei,[5] sondern auch zur Militarisierung von Männlichkeit – und der gesamten Gesellschaft. Dazu passt, dass deutsche Abgeordnete an der Zwangsrekrutierung von ukrainischen Männern im wehrfähigen Alter kaum Kritik äußern. Stattdessen wird von einigen die Wiedereinführung der Wehrpflicht gefordert.

Nukleare Abschreckung und bewaffnete Drohen

Was genau mit dem Sondervermögen angeschafft werden soll, ist noch nicht bekannt. Doch wurde sowohl im Koalitionsvertrag als auch von Olaf Scholz ein Festhalten an der nuklearen Teilhabe und die Bewaffnung von Drohnen angekündigt. Warum beides einer feministischen Außenpolitik entgegenwirkt ist offensichtlich.

Aktuell wird (wieder) vielen Menschen bewusst, wie sich die Gefahr eines Atomkriegs anfühlt. Dennoch teilte die Bundesregierung nun mit, dass sie F-35 Kampfjets anschaffen möchte, die auch für den Einsatz von Atomwaffen geeignet sind. Innerhalb der Beschaffungszeit der Jets muss der genaue Zweck entschieden werden. An der nuklearen Abschreckung festzuhalten, bedeutet sich gegenseitig mit Massenvernichtung zu drohen. Neben der Vermeidung solcher ethischen Fragen wird auch so getan, als ob die Herstellung, Testung und Vernichtung von Atomwaffen nicht auch schon jetzt viel menschliches Leid verursachen würden. Zugunsten „unserer Sicherheit“ wird ein nuklearer Kolonialismus erhalten, der insbesondere die Gesundheit von indigenen und mehrfach marginalisierten Gemeinschaften gefährdet und ihr Land zerstört.[6]

Die Bewaffnung von Drohnen ist ein weiteres Vorhaben, dass zwar „unserer Sicherheit“ dienen soll, aber sehr wahrscheinlich zu mehr Unsicherheit in anderen Teilen der Welt führen wird. Für die Auswahl von menschlichen Zielen muss eine große Datenmenge gesammelt werden, was allein datenschutzrechtlich sehr bedenklich ist. Die Evaluationen des US-Drohnenprogramms zeigen sehr genau wie fehlerhaft und diskriminiert diese Daten sind. Die New York Times berichtete im Dezember 2021 ausführlich wie regelmäßig Zivilist*innen von Drohnen getötet wurden.[7] Wer wird für die Tötungen von Zivilist*innen („collateral damage“) verantwortlich gemacht? Schon allein diese Intransparenz bei dem Einsatz von bewaffneten Drohnen spricht aus feministischer Sicht gegen eine Anschaffung.

Stärkung der Zivilgesellschaft

Dass das Sondervermögen den Menschen in der Ukraine absolut nichts nützt, es aber weiterhin in diesem Kontext erwähnt wird, ist bemerkenswert. Generell wird sich medial gerade viel häufiger mit Politiker*innen und Expert*innen über deutsche Sicherheits- und Energiepolitik unterhalten anstelle diversen Stimmen aus der ukrainischen Zivilgesellschaft zuzuhören. Deutsches Wirtschaftswachstum steht immer noch höher auf der Prioritätenliste als die Menschen in der Ukraine.

Die Umsetzung einer feministischen Außenpolitik verliert an Glaubwürdigkeit, wenn die Koalition für das Sondervermögen stimmen wird. Ein ernsthafter Blick auf alle Opfer von Kriegen lässt sich mit solchen Prioritäten nicht vereinbaren. Stattdessen wäre es höchste Zeit, ein Sondervermögen für die Stärkung von zivilgesellschaftlichen Organisationen und Akteur*innen zu beschließen, die sich für Dialog, Gerechtigkeit, Abrüstung und Klimaschutz einsetzen.


[1]https://www.bundestag.de/mediathek?videoid=7534711#url=bWVkaWF0aGVrb3ZlcmxheT92aWRlb2lkPTc1MzQ3MTE=&mod=mediathek

[2] https://www.uni-marburg.de/de/konfliktforschung/dateien/publikationen/policy-paper_finale-version_test.pdf

[3] https://www.sueddeutsche.de/politik/polen-belarus-grenze-fluechtlinge-1.5556202?reduced=true

[4] https://www.bmvg.de/de/themen/verteidigungshaushalt/verteidigungshaushalt-2021

[5] https://www.wilpf.de/wie-militarisiert-ist-die-deutsche-aussenpolitik-ein-policy-brief/

[6] https://riseuptimes.org/2020/10/09/leona-morgan-the-nuclear-fuel-chain-from-mining-to-waste/

[7] https://www.nytimes.com/interactive/2021/12/18/us/airstrikes-pentagon-records-civilian-deaths.html