Du betrachtest gerade Statement zum Krieg in Gaza
WILPF

Statement zum Krieg in Gaza

Im Sinne eines feministischen Friedens fordern wir einen sofortigen und dauerhaften Waffenstillstand.

Als feministische Friedensorganisation stellen wir uns gegen den von der israelischen Regierung und der Hamas geführten Krieg!

Wir trauern zutiefst mit den Betroffenen der grausamen Gewalt und erklären uns solidarisch!

Wir fordern einen sofortigen Waffenstillstand und die Aufnahme ernsthafter Verhandlungen über langfristige Lösungen aus der Konfrontation heraus hin zu einem langfristigen feministischen Frieden!

In den vergangenen sieben Monaten kam es in Gaza und dem Westjordanland zu grausamen Taten gegen die Zivilbevölkerung und damit zu Verstößen gegen das Völkerrecht. Die beginnende Offensive in Rafah stellt eine weitere Eskalation dieser Verbrechen dar. Diese Tatsachen veranlassen uns zur Veröffentlichung eines weiteren Statements.[1]


Im Sinne einer feministischen Außenpolitik:

Wir verurteilen die militärischen Einsätze der israelischen Regierung, die die kollektive Bestrafung und Machtdemonstration im Rahmen der 75-jährigen Besatzung und Freiheitsberaubung von Palästinenser*innen in Gaza und im Westjordanland zur Folge haben sowie die tödlichen Angriffe auf humanitäre Helfer*innen. Darüber hinaus prangern wir die staatlich gebilligte sowie unterstütze Siedlergewalt im Westjordanland an, welche seit Oktober eskaliert.

Laut eines Berichts des UN-Menschenrechtsrates durch Francesca Albanese bestehen berechtigte Gründe zur Annahme, dass der Schwellenwert zur Verübung eines Genozids an der palästinensischen Bevölkerung durch Israel erreicht ist und dass das Recht auf Selbstverteidigung als Legitimation zur völkermörderischen Gewalt an Palästinenser*innen verwendet wird. In dem IGH-Beschluss vom 26. Januar 2024 ordnete der Internationale Gerichtshof an, dass Israel neben der Bereitstellung von Hilfsgütern alles in seiner Macht Stehende tun müsse, um einen Völkermord an den Palästinenser*innen zu verhindern. Die unzureichende Beachtung des Urteils (und den ausbleibenden internationalen Druck) kritisieren wir scharf. In einem Appell von UN Menschenrechtexpert*innen vom 23. Februar 2024 werden Staaten dazu aufgefordert, den Export von Waffen, die in Gaza eingesetzt werden und demnach mit einer hohen Wahrscheinlichkeit gegen internationales Völkerrecht verstoßen könnten, umgehend zu stoppen – dies gilt auch für Deutschland.

Wir fordern insbesondere die Bundesregierung dazu auf, den Export von Waffen, welche in Gaza nachweislich für Verbrechen gegen die Menschlichkeit verwendet werden, umgehend zu stoppen. Sowohl die Lieferung von Waffen an die israelische Regierung, die damit nachweislich Kriegsverbrechen begeht, sowie die Missachtung der deutschen Regierung der Forderung des UN Menschenrechtsrates über den Stopp von Waffenlieferung nach Israel einerseits, als auch das Aussetzen der Mittel für UNRWA andererseits, stellen eine Verzerrung des internationalen Rechts dar, welche wir in aller Deutlichkeit anprangern. Die deutsche Regierung muss sich an international bestehendes Völkerrecht und Beschlüsse des multilateralen Systems halten.

Wir als deutsche Sektion der WILPF sind uns unserer historischen Verantwortung bewusst. Diese Verantwortung darf jedoch kein Vorwand zur Missachtung und Abwertung internationalen Rechts sein. Ganz im Gegenteil bewegt sie uns dazu, das brutale Vorgehen in Gaza stark zu verurteilen und ein erneutes Statement zu veröffentlichen. Die Verantwortung sollte immer gegenüber dem Völkerrecht sowie allen Menschen und nicht nur gegenüber einer Gruppe von Personen gelten.

Wir verurteilen die geschlechtsspezifische Gewalt, die sowohl im Angriff der Hamas gegen Israelis als auch von der israelischen Armee gegenüber Palästinenser*innen angewendet wird, aufs Schärfste. Frauen und Kinder stellen 70% der getöteten Palästinenser*innen sowie 1 Million der 1,9 Millionen vertrieben Palästinenser*innen dar (UN Women 2024). Berichten der UN zufolge werden in Gaza im Schnitt stündlich zwei Mütter getötet und es gibt keine sicheren Räume für Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt. Der fehlende Zugang zu sauberem Wasser, Sanitäranlagen und Hygieneprodukten hat insbesondere für Frauen, Kinder und queere Personen enorme psychische und physische Auswirkungen.

Mit Verweis auf unser erstes Statement vom 09. November 2023 verurteilen wir den brutalen Angriff der Hamas auf Israel am 07. Oktober 2023. Auf grausamste Weise wurden dabei etwa 1.200 Menschen getötet und mehr als 240 Menschen als Geiseln verschleppt, von denen noch immer ein erheblicher Teil in Gefangenschaft ist und deren sofortige Freilassung wir fordern. Bei dem Terrorangriff kam es auch zu sexualisierter Gewalt, die wir scharf verurteilen. Wir solidarisieren uns mit den Betroffenen. Im Kontext des Hamas-Angriffes erkennen wir Israels Recht auf Selbstverteidigung an, das jedoch nur unter uneingeschränkter Beachtung des humanitären Völkerrechts gilt. Gegen dieses hat Israel jedoch seit Oktober 2024 mehrmals verstoßen, wie eine Vielzahl an Berichten belegt (u.a. Human Rights Watch, Amnesty International, OHCHR).

Als feministische Friedensorganisation teilen wir die Auffassung, dass die Hamas nicht durch Waffengewalt bezwungen werden kann. Es braucht stattdessen Ressourcen für Bildung, Friedensinitiativen, Gerechtigkeit und Freiheit für Palästinenser*innen, um die Gleichberechtigung von Palästinenser*innen, jüdischen und israelischen Personen zu gewährleisten. Da die deutsche Bundesregierung sich einer feministischen Außen- und Entwicklungspolitik verpflichtet hat, verlangen wir von ihr, gesellschaftliche Machtverhältnisse (innerhalb des Konflikts) kritisch zu betrachten und die Bedürfnisse verschiedener Personengruppen zu berücksichtigen. Im Zentrum aller Handlungen muss immer die menschliche Sicherheit stehen. Ein besonderes Augenmerk feministischer Außen- und Entwicklungspolitik sollte dabei ausgehend von der Agenda “Frauen, Frieden und Sicherheit” (UN-Resolution 1325 und Folgeresolutionen) dem Schutz von Frauen, Kindern und anderen marginalisierten Gruppen gelten, die in besonderem Maß von kriegerischen Auseinandersetzungen, Gewalt und Verdrängung betroffen sind.


Im Sinne einer feministischen Innenpolitik:

Wir beobachten in Deutschland Entwicklungen, die einmal mehr verdeutlichen, dass eine feministische Außenpolitik nur dann umsetzbar ist, wenn auch innerstaatlich ein Bewusstsein für ungleiche Machtverhältnisse und strukturelle Formen der Gewalt besteht. Wir blicken mit Sorge auf eine zunehmende Politik der Zensur seitens der deutschen Regierung sowie der Oppositionsparteien, die palästinensische Aktivist*innen sowie offene Solidaritätsbekundungen mit Palästinenser*innen und pro-palästinensischen Organisationen pauschal bestraft und eine Kritik an der rechts-radikalen Regierung Israels und des israelischen Militärs verunmöglicht.

Wir schließen uns den Bedenken von Rechtsexpert*innen an, die die Implementierung der IHRA-Arbeitsdefinition von Antisemitismus, die Zensurmaßnahmen, insbesondere die Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und das Asylrecht betreffend, als problematisch ansehen. Im Zuge dessen verurteilen wir Demonstrationsverbote, Sprechverbote und Polizeigewalt auf friedlichen pro-palästinensischen Versammlungen genauso wie die Schließung von zivilgesellschaftlichen Räumen, inkl. Konferenzen. Menschen in Deutschland haben im öffentlichen Raum im Sinne von Art. 8, Abs. 1 Grundgesetz, ein Recht auf gewaltfreien Protest. In einer Demokratie muss dieses Recht, zusammen mit zivilgesellschaftlichen Handlungsräumen, aufrechterhalten bleiben. Räume und die Freiheit zum Austausch genauso wie das Anhören kritischer Stimmen sind im Sinne der Völkerverständigung unerlässlich für Vertrauen in den Staat und in demokratische Werte.

Wir sind fest davon überzeugt, dass die Bekämpfung von Antisemitismus eine ständige und dringende Aufgabe ist, sowohl in der historischen Aufarbeitung als auch in der gegenwärtigen Zeit.  Wir setzen uns für einen sensiblen Umgang mit und eine nuancierte Konzeptualisierung von Antisemitismus in der Forschung, Politik und den Medien ein. Dabei liegt insbesondere der Fokus auf einer klaren Unterscheidung zwischen Antisemitismus und legitimer Kritik an der Politik Israels mit Blick auf die gewaltvolle Ausdehnung des Staatsgebietes, den Siedlerkolonialismus und die militärische Besatzung. Jüdische Stimmen,  die diese Differenzierung deutlich machen, müssen gehört und unterstützt werden. So zum Beispiel Tausende friedliche Demonstrierende in Israel, die mutig gegen die israelische Regierung auf die Straße gehen und dabei teilweise brutaler staatlicher Gewalt ausgesetzt sind. Auch mit ihnen wollen wir uns solidarisieren. Darüber hinaus betonen wir die Notwendigkeit, anti-muslimischem Rassismus entgegenzutreten und setzen uns für Völkerverständigung und Frieden ein. Wir lehnen das Framing von Kritiker*innen der Politik und Regierung Israels als Islamist*innen entschieden ab und kritisieren das narrative Konstrukt des vermeintlich importierten Antisemitismus.

In diesem Kontext möchten wir deutlich machen, dass wir nicht Teil der BDS-Bewegung sind, von der in Teilen das Existenzrechts Israels in Frage gestellt wird. Wir unterstützen und arbeiten mit allen Menschen, insbesondere feministischen Organisationen, zusammen, die Frieden und Dialoginitiativen konstruktiv voranbringen.

Wir kritisieren den Umgang mit ca. 1100 Palästinenser*innen (aus allen palästinensischen Gebieten; Stand Februar 2024), die in Deutschland Asyl beantragen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat seit dem 9. Januar 2024 die Asylverfahren palästinensischer Schutzsuchender ausgesetzt, unter Verweis auf die vermeintliche Ungewissheit bezüglich der Gefährdung von Schutzsuchenden im Falle einer Rückkehr nach Gaza gemäß § 24 Absatz 5 des Asylgesetzes. Trotz klarer Faktenlage der akuten Gefahrensituation vor Ort und bestehender Rechtsprechung, wie sie beispielsweise vom Verwaltungsgericht Hannover im Fall Sudan festgestellt wurde, ist eine generelle Unterbrechung der Verfahren nicht gerechtfertigt. Es deutet vielmehr auf einen Missbrauch des genannten Absatzes hin, welcher darauf abzielt, offene Asylanträge zu einem späteren Zeitpunkt ablehnen zu können.

Im Sinne eines feministischen Friedens

Wir fordern von der deutschen Bundesregierung:

  • Aktiver Einsatz und konkrete Bemühungen für einen sofortigen und dauerhaften Waffenstillstand in Gaza sowie für die Freilassung aller Geiseln;
  • Unverzüglicher Stopp aller Waffenlieferungen an die israelische Regierung;
  • Bereitstellung gendersensibler humanitärer Hilfe, insbesondere medizinische Versorgung und Nahrungsmittel;
  • Anerkennung und Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt unter Berücksichtigung der Agenda 1325 und im Sinne einer feministischen Außenpolitik;
  • Solidarisierung mit Betroffenen von Gewalt und Einbezug ihrer Perspektiven in Verhandlungen und Friedensprozessen;
  • Berücksichtigung tiefliegender Gesellschaftsmuster und Machtverhältnisse durch eine intersektionale feministische Perspektive, um ausgehend davon gemeinsam mit Betroffenen einen langfristig gerechten und solidarischen Frieden für alle beteiligten Gruppen zu schaffen. Darunter fällt insbesondere die Anerkennung unterschiedlicher und komplexer Narrative und Dialogbemühungen, die auf gegenseitigem Respekt fundieren;
  • Stopp von Polizeigewalt und Repression friedlicher pro-palästinensischer Stimmen innerhalb Deutschlands;
  • Sensibler Umgang mit Antisemitismus und Bekämpfung jeglicher Formen von antisemitischer und antimuslimischer Hetze und Gewalt;
  • Wiederaufnahme der Bearbeitung von Asylanträgen von aus Gaza stammenden Palästinenser*innen, unter Berücksichtigung der besonderen Dringlichkeit und Gefährdungslage;
  • Verhandlungen auf allen Ebenen innerhalb der UN, um zivile Konfliktbearbeitung zu fördern sowie eine Beendigung der völkerrechtswidrigen Besatzung und der illegalen israelischen Siedlungspolitik herbeizuführen.

[1] Dieses Statement basiert auf der Informationsgrundlage Stand: 10. Mai 2024.