Die Reform des Asylsystems (GEAS) wird zu unermesslichem Leid führen. Wir fordern von der Bundesregierung eine Abkehr von den beschlossenen Plänen und die Umsetzung einer feministischen, menschenrechtsbasierten Migrations- und Asylpolitik.
Am 8. Juni 2023 einigten sich die Innenminister*innen der Europäischen Union auf eine Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Es handelt sich dabei um massive Verschärfungen des Asylrechts, wie sie seit Jahrzehnten nicht stattgefunden haben. Als feministische Friedensorganisation schließen wir uns der vehementen Kritik an dieser Reform von Seiten der Zivilgesellschaft, Migrationsexpert*innen und Jurist*innen an.
Die Reform ist kein “historischer Erfolg”, wie Innenministerin Nancy Faeser sie bezeichnet, sondern eine menschenrechtliche Katastrophe! Sie widerspricht eindeutig den Vereinbarungen im Koalitionsvertrag der Ampelregierung.
Die Verstetigung des ohnehin schon gewaltvollen und tödlichen Grenzregimes ist mit einer menschenrechtsbasierten Politik nicht vereinbar und läuft konträr zu einer feministischen Außenpolitik, die von Deutschland, Frankreich, Luxemburg und weiteren EU-Staaten verkündet wurde. Auch wenn Annalena Baerbock in einer Pressemitteilung deutlich macht, wie schwer sich die Bundesregierung bei der Zustimmung getan hat, wäre eine Ablehnung der Reformpläne möglich gewesen. Betroffenheitserklärungen helfen fliehenden Menschen nicht weiter. Sie brauchen Schutz.
Eine europäische Einigung in Migrations-und Asylpolitik durchzusetzen, die Rechte von Geflüchteten und Migrant*innen weiter beschneidet, zeigt vor allem, dass sich die Mitgliedsstaaten der EU in einem einig sind: die strukturell rassistische und ausbeuterische Politik innerhalb und außerhalb Europas weiterhin zu verstärken, anstelle diese abzubauen. Was wie eine Harmonisierung und Beschwichtigung einzelner Mitgliedstaaten behandelt wird, spielt all jenen neo-faschistischen und rechtskonservativen Regierungen in die Hände, die sich rassistischer Diskurse bedienen und diese zur Grundlage ihrer Migrations- und Asylpolitik machen.
Noch im Koalitionsvertrag der Ampel wurde sich auf die Verpflichtungen gegenüber Schutzsuchenden, die sich aus dem Grundgesetz, der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und dem Europarecht ergeben, berufen. Mit der GEAS-Reform werden all diese Rechte ausgehebelt und Verträge, wie die Genfer Flüchtlingskonvention, die eine direkte Konsequenz aus den Gräueltaten des Nazi-Regimes ist, werden bewusst ignoriert. Geschichte vergisst nicht. Rechte Politik befeuert rechtes Handeln, damals wie heute.
Viele Geflüchtete kommen aus Regionen, die von europäischen Staaten kolonisiert und systematisch ausgebeutet wurden. Deren Auswirkungen sowie neue Abhängigkeitsverhältnisse dauern bis heute an. Es ist daher besonders zynisch, dass Europa sich nun gegenüber denjenigen weiter abschotten will, die aufgrund der aus Kolonialismus und Rassismus entstandenen historisch gewachsenen Ungleichheits- und Gewaltverhältnisse gezwungen sind, nach Europa zu fliehen.
Im Sinne einer feministischen Migrations- und Asylpolitik fordern wir, dass:
- die Bundesregierung sich von den in Luxemburg beschlossenen Plänen abwendet und eine europäische Migrations- und Asylpolitik verfolgt, die im Koalitionsvertrag der Ampelregierung vereinbart wurde (“bessere Standards für Schutzsuchende in den Asylverfahren und bei der Integration in den EU-Staaten”);
- die Bundesregierung sich ihre (historische) deutsche Rolle im Kontext von Flucht & Migration selbstkritisch bewusst macht und Verantwortung für Fluchtursachen übernimmt, in dem sie allen Geflüchteten in Deutschland ein menschenwürdiges Asylverfahren ermöglicht und das Grundrecht auf Asyl gewährleistet;
- die Bundesregierung sich gegen die Kriminalisierung von Flucht einsetzt und dafür sorgt, dass Geflüchtete, die vor unhaltbaren Zuständen in ihren Heimatländern fliehen, nicht unter menschenunwürdigen Verhältnissen an den EU-Außengrenzen festgehalten werden. Menschen, die keine Straftaten begangen haben, sollten nicht wie Straftäter*innen behandelt werden;
- die Bundesregierung die unterschiedlichen Bedürfnisse und Gründe für das Verlassen der Herkunftsländer von Menschen stärker berücksichtigt, insbesondere sexuelle Orientierung und/oder geschlechtliche Identität;
- die Bundesregierung überschneidende Formen von Diskriminierung (z. B. aufgrund von Geschlecht, ethnischer und konfessioneller Zugehörigkeit) in die Ausgestaltung einer menschenrechtsbasierten Asyl- und Migrationspolitik miteinbezieht;
- die Bundesregierung von der Ausweitung der sogenannten “sicheren Herkunftsländer” absieht und grundsätzlich von diesem Konzept abrückt. Das Konzept der sogenannten “sicheren Herkunftsländer” hebelt nicht nur das Grundrecht auf Asyl aus, es ist aus intersektional-feministischer Perspektive nicht tragbar, da die individuelle Situation schutzbedürftiger Gruppen nicht mitgedacht wird;
- die Bundesregierung anerkennt, dass militarisierte Grenzen und Abschottung Menschen niemals davon abhalten werden, zu fliehen. Solange Ursachen wie bewaffnete Konflikte, Klimawandel, Armut und Diskriminierung dazu führen, dass Menschen in ihren Heimatländern nicht sicher sind, werden auch Menschen nach Deutschland und in die EU fliehen. Verschärfte Asylregeln, Gewalt und inhumane Zustände werden dies nicht unterbinden, sondern zu unermesslichem Leid führen.
Literaturhinweis:
Cheung et al. (2022): „Feministische Migrationspolitik in der Praxis“ in Feministische Außenpolitik: ein Leitfaden zur praktischen Umsetzung. Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit.